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DMRNeues zur Insolvenzanfechtung: Gute Nachrichten für Gläubiger – BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20
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Neues zur Insolvenzanfechtung: Gute Nachrichten für Gläubiger – BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20

Aufgrund seit Jahren sinkender Insolvenzzahlen war das Thema der Insolvenzanfechtung kaum noch im Fokus. Dies kann und wird sich in Zukunft ändern. Zwar bleibt Gläubigern eines Corona-geschädigten Unternehmens noch eine Hintertür offen. Insolvenzverwalter werden aber trotzdem versuchen, so viel abgeflossenes Geld wie möglich zur Insolvenzmasse zurückzuziehen. Da der BGH hier im Mai 2021 (IX ZR 72/20) eine äußerst relevante Entscheidung zur Abwehr solcher Forderungen getroffen hat, lohnt es sich, das Thema wieder aufzugreifen.

I. Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH (die „Schuldnerin“) und macht gegenüber der Beklagten – der Bundesrepublik Deutschland – die Anfechtbarkeit von Ratenzahlungen geltend, die an das Bundesamt für Justiz nach „Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse“ im Rahmen einer Ratenzahlungsvereinbarung geleistet wurden.

II. Kernaussagen der Entscheidung

Die Entscheidung betrifft den praktisch höchst relevanten § 133 Abs. 1 InsO. Dieser hat es in sich: Liest er sich doch so, als wäre er nur in Ausnahmesituationen anwendbar, in denen Gläubiger und Schuldner kollusiv zum Schaden der anderen Gläubiger handeln, wurde der Anwendungsbereich durch Insolvenzverwalter mit freundlicher Unterstützung des Bundesgerichtshofs erheblich ausgeweitet:

III. Bisherige Rechtslage

Nach §§ 129 Abs. 1, 133 Abs. 1 InsO ist eine „Rechtshandlung“ anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren* vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder nach diesem Antrag) vorgenommen hat, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  • a) Der Schuldner hatte den Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen; und
  • b) der Gläubiger/Empfänger kannte zur Zeit der Handlung ebendiesen Vorsatz des Schuldners. Diese Kenntnis wird nach Satz 2 des § 133 Abs. 1 InsO vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

Die BGH-Rechtsprechung hat § 133 InsO wie folgt ausgelegt: a) Erkennt der Schuldner seine eingetretene oder auch bloß drohende Zahlungsunfähigkeit, so genügt das zur Annahme des sog. Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes; b) andersherum genügt die Kenntnis des Gläubigers von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit für den Nachweis der entsprechenden Kenntnis von ebendiesem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Ihrer Beweispflicht konnten Insolvenzverwalter somit recht „einfach“ nachkommen: Sie mussten nur einen Nachweis erbringen, dass der Schuldner dem Gläubiger von erheblichen Zahlungsproblemen berichtete.

Folge dieser Rechtsprechung war u.a., dass unter den oben genannten Voraussetzungen auch dann, wenn die Leistung erbracht wurde, wie sie vertraglich geschuldet war (sog. kongruente Deckung), diese bis zu 10 Jahre zurück anfechtbar war. Somit konnte auch gegenüber einem Gläubiger, der sich eigentlich in Rechtssicherheit wog, da er die Leistung so erhalten hatte wie vereinbart, die Handlung angefochten werden.

Zu beachten für die vorliegende Entscheidung ist, dass die Zahlungsunfähigkeit vermutet wird, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Zahlungseinstellung ist manifestierte Zahlungsunfähigkeit. Die äußere Erkennbarkeit verlangt aber nicht, dass die Zahlungsunfähigkeit allgemein bekannt geworden ist. Nach Rechtsprechung des BGH kann die Zahlungseinstellung aus „einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden“.

IIII. Entscheidung des BGH

Der BGH konkretisiert nun seine bisherige Aussage, dass die „einzelnen Beweisanzeichen“ bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO „dabei nicht schematisch angewandt werden dürfen“. Zwar habe der BGH bisher angenommen, dass der Anfechtungsgegner regelmäßig den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners erkennt, wenn er dessen Zahlungsunfähigkeit kennt. Der entscheidende Satz des Urteils lautet sodann: „Die Rechtsprechung, wonach allein aus der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit gefolgert wird, dieser sei in der Regel auch über den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Bilde (…), bedarf einer neuen Ausrichtung.“(Hervorhebung durch Verfasser). Entsprechendes gelte für die Feststellung des Benachteiligungsvorsatzes selbst. Heißt: Weder für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners noch für die Kenntnis von diesem Vorsatz genügt allein die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit.

1. Klare Abgrenzung von § 133 Abs. 1 und § 130 Abs. 1 Inso

Der BGH führt weiter aus: Es reiche nicht (mehr) aus, dass der Schuldner weiß, dass er im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung nicht alle seine Gläubiger befriedigen kann. Entscheidend sei vielmehr, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht dazu in der Lage sein wird. Diese Aussage kann als glatte Abkehr von den bisherigen Grundsätzen des BGH zur Beweisverteilung im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO angesehen werden.

Begründung des BGH: § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO sollte grundsätzlich die Frist regeln, bis zu der eine kongruente Handlung (wir erinnern uns: eine Handlung, die den Gläubiger so befriedigt oder sichert, wie geschuldet) anfechtbar ist. Nach § 130 Abs. 1 InsO beträgt der Zeitraum, in dem eine kongruente Handlung anfechtbar ist, drei Monate, wenn der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte. Nach Ablauf dieses Zeitraums sollte der Gläubiger grundsätzliche Rechtssicherheit haben, die Leistung behalten zu dürfen. Durch die bisherige Rechtsprechung des BGH (Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit auf beiden Seiten führt zu Anfechtbarkeit nach § 133 Abs. 1 InsO) wurde der Zeitraum des § 130 Abs. 1 InsO faktisch von 3 Monaten auf 10 bzw. jetzt 4 Jahre (siehe Hinweis am Ende) verlängert. Dies stoße nach Ansicht des BGH nun doch auf gesetzessystematische und gesetzeszweckbezogene Bedenken.

Merke:

Eine kongruente Leistung soll grundsätzlich nicht (mehr) allein deshalb nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein, weil beide Seiten die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannten. Hierfür ist § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO einschlägig, der eine Anfechtung nur für den Zeitraum von 3 Monate vor der Stellung des Insolvenzantrags zulässt.

Allerdings kann auch eine außerhalb des kritischen 3-Monats-Zeitraum gewährte kongruente Deckung nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein. Dies hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 133 InsO noch einmal bestätigt, indem er den Anfechtungszeitraum für Deckungshandlungen einheitlich auf vier Jahre vor dem Eröffnungsantrag festgelegt hat (§ 133 Abs. 2 InsO). Die Ausschöpfung des längeren Zeitraums darf aber nicht unter den gleichen Voraussetzungen möglich sein wie die „einfache“ Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO.

Von entscheidender Bedeutung für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist nach Ansicht des BGH nun vielmehr, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird.

2. Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr ausreichend für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Der BGH gibt darüber hinaus seine Rechtsprechung auf, wonach die Kenntnis von der eigenen drohenden Zahlungsunfähigkeit für die Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes genügt hat – und dies mit sehr vernünftigen Argumenten: Nur der Schuldner kann bei Vorliegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen. Der Gläubiger kann dies nicht. Setzt man aber im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit an, könnte es dem Schuldner verwehrt sein, sein Unternehmen fortzuführen und auf diesem Wege die drohende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Auch Gläubiger des nur drohend zahlungsunfähigen Schuldners können geneigt sein, von Geschäftsbeziehungen mit ihm abzusehen oder bestehende Beziehungen zu beenden, was erst zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit führen würde.

3. Die Zahlungseinstellung als Vermutung der Zahlungsunfähigkeit

Der BGH stellt noch einmal nachdrücklich – und über seine bisherige Rechtsprechung teilweise hinausgehend – klar, dass Zahlungsverzögerungen an sich, auch wenn sie wiederholt auftreten, nicht allein die Annahme der Zahlungseinstellung begründen können. Ausdrückliche Erklärungen des Schuldners, die Verbindlichkeit in den kommenden drei Wochen nicht – auch nicht ratenweise – begleichen zu können, sind und bleiben aber ein klares Beweisanzeichen für die Zahlungseinstellung.

Die Fortdauer der Zahlungseinstellung soll zwar weiterhin vermutet werden können. Allerdings hat der BGH nun ausdrücklich festgestellt, dass Stärke und Dauer der Vermutung davon abhängen, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit gerade auch aus Sicht des Anfechtungsgegners zutage getreten ist.

Fazit

Der BGH lässt sich mit vielen Formulierungen Hintertüren offen. Insbesondere betont er, dass sich zwar „ein schematisches Vorgehen verbietet“, aber dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass u.a. auch Fälle der rein drohendenden Zahlungsunfähigkeit zur Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO führen können. Trotzdem ist erfreulich, dass einige zu strenge Kriterien der Vergangenheit eingedämmt wurden und nun etwas mehr Rechtssicherheit für den redlichen Gläubiger besteht. Denn es hilft dem Schuldner sicher nicht, wenn er sich in einer Krise befindet und alle Gläubiger von weiteren Geschäften Abstand nehmen, weil sie noch über Jahre die Anfechtung der Leistung fürchten müssen. Vielmehr führt dies dazu, dass ein ohnehin kriselndes Unternehmen weiter in die Krise rutscht. Dies scheint nun auch der IX. Senat erkannt zu haben.

Ein pauschaler Hinweis auf die (drohende) Zahlungsunfähigkeit und die Kenntnis dieser auf beiden Seiten wird in der Zukunft nicht mehr genügen, um die Anfechtbarkeit nach § 133 Abs. 1 InsO zu begründen. Vielmehr kommt es auf die konkrete Liquiditätslage und deren Kenntnis sowie die getätigten Aussagen des Schuldners im jeweiligen Fall an.

*Hinweis: Durch das „Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ wurde zumindest der Anfechtungszeitraum für kongruente (also bei Geschäften, in denen „geleistet wie geschuldet“) und inkongruente („so nicht geschuldete“) Geschäfte, soweit der Gläubiger eine Befriedigung oder Sicherheit erhalten hat, insoweit verkürzt, dass dieser nur noch vier Jahre beträgt. Bei kongruenten Rechtshandlungen ist zudem die eingetretene Zahlungsunfähigkeit das Maß für die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes. Zudem sind nach § 133 Abs. 2 Satz 2 InsO Zahlungsvereinbarungen gerade kein Beweisanzeichen für die Kenntnis des Gläubigers, sondern vielmehr ein Anzeichen dafür, dass er die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Trotzdem vermochten diese Änderungen die Ausuferung des Anwendungsbereichs von § 133 Abs. 1 InsO nicht vollständig zu einzudämmen.

Kontakt: Dr. Thomas Ressmann, Dr. Tobias Moser

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